Paolo Pellegrin - Streit um ein preisgekröntes Foto
Er ist der wohl erfolgreichste Fotograf der legendären Fotoagentur MAGNUM und für viele Fotografen das große Idol. Jetzt ist der Italiener Paolo Pellegrin Mittelpunkt eines Skandals, der seinen und den Mythos von MAGNUM arg ins Wanken bringt und eine Diskussion um Ethik und Moral im Fotojournalismus entfacht, von der MAGNUM bislang weitgehend unbehelligt war.
Ausgangspunkt war ausgerechnet ein Foto der Arbeit, für die der erfolgsverwöhnte Pellegrin gerade seine drei aktuellsten Preise erhielt. Den 2. Preis beim World Press Photo Award (General News Stories), den zweiten Preis beim amerikanischen Press Photographer of the Year (POY) in der Kategorie Reporting Picture Story und beim gleichen Wettbewerb den Titel »Freelance Photographer of the Year«.
Das beanstandete Bild entstand im Rahmen eines Gruppenprojektes von MAGNUM in der US-Stadt Rochester. Bei dem Projekt wurde MAGNUM von dem Rochester Institute of Technology (RIT) unterstützt und Fotostudenten des RIT halfen den MAGNUM-Fotografen als Assistenten.
Pellegrin konzentrierte sich in seiner Arbeit auf den Problembezirk »Crescent«, Schauplatz zahlreicher Morde, anderer Verbrechen und stadtbekanntes Drogenviertel. Für eines seiner Bilder suchte Pellegrin einen Waffenbesitzer, von dem er ein Portrait fotografieren wollte. Sein Assistent verwies ihn auf einen Kommilitonen vom RIT - Shane Keller - der mehrere Waffen besitzt. Der war mit einem solchen Portrait einverstanden. Pellegrin wählte dafür die Waffe aus und inszenierte das Bild in der Garage von Kellers Wohnhaus. Es entstand ein dramatisches SW-Bild mit großem figürlichem Schatten, auf dem Shane Keller mit seiner Pumpgun aussieht wie das Mitglied einer Gettogang, für den das Herumlaufen mit einer Schrotflinte am helllichten Tag offenbar die normalste Sache der Welt sei. Beim finalen Editing müsste Pellegrin diese naheliegende Interpretation auch klar gewesen sein. In der Bildunterschrift bezeichnet Pellegrin den Ort als »Crescent« und Shane Keller als ehemaligen Marine Corps Sniper. In die Dateiinformationen des Bildes ist außerdem ein Textschnipsel eingebunden, der aus einem 1o Jahre alten Artikel der New York Times stammt, in dem längst veraltete statistische Daten zu Rochesters Crescent enthalten sind. Weder das Datum der Veröffentlichung noch die Quelle werden genannt.
Dass den früheren Fotostudenten Shane Keller der Zusammenhang, in den er da gestellt wurde, nicht gefällt, kann man nachvollziehen, wenn man seine Version über die Hintergründe des Fotos hört. Dies sei nämlich gar nicht im Sodom und Gomorra von Rochester entstanden, sondern 6 Kilometer entfernt von Crescent. Ein friedliches Viertel, unweit des jüdischen Community Centers, wo man seine Tür unverschlossen lassen könne, ohne dass etwas gestohlen würde. Und er habe Paolo Pellgrin auch nie erzählt, dass er Sniper eines Marine Corps gewesen sei, denn schließlich war er bei den Marines Militärfotograf.
Nachdem Shane Keller dies nach der Veröffentlichung des Bildes seiner ehemaligen Ethik-Professorin Loret Steinberg berichtete, kam der Stein ins Rollen. Denn die nahm Kontakt mit dem Redakteur Michael Shaw auf, der die scheinbaren Ungereimtheiten in dem Blog bagnotesnews.com unter der Überschrift »Wenn die Wirklichkeit nicht dramatisch genug ist: Falsche Darstellung in einem Foto, das den World Press Photo Award und das Picture of the Year gewonnen hat« veröffentlichte.
»Es tut mir leid, dass Michael Shaw, Loret Steinberg und Shane Keller meine Bilder von Rochester nicht gefallen«, antwortete Pellegrin in der von MAGNUM veröffentlichten Gegendarstellung. Es sei nicht ungewöhnlich, dass Leute mit der Darstellung ihre Viertels durch einen Außenstehenden nicht einverstanden seien. »Das wissen wir doch alle.« Was die falsche Ortsbezeichnung betrifft, so habe er nicht herausfinden können, ob der Begriff Crescent eine genaue geografische Bezeichnung sei, oder eher ein ungenauer Begriff. Im Übrigen habe er bei der Fahrt mit seinem Assistenten die Orientierung verloren. Hätte aber die einfache Frage, »Sind wir hier in Crescent?« nicht jedes Missverständnis beseitigt? Und spielt die korrekte örtliche Zuordnung einer Person nicht besonders bei einer Reportage über ein solch negativ besetztes Viertel eine wichtige Rolle?
Anders als Shane Keller, so Pellgrin, habe für ihn die Fotografie von Keller mit dem Gewehr sehr wohl etwas mit der Gewalt in Crescent zu tun. Auch erinnere er sich, dass Shane, dessen Namen er später vergessen habe, sich ihm gegenüber als ehemaliger Sniper ausgegeben habe. Das aber relativiert er dann im nächsten Satz. Vielleicht habe Keller sich ja versprochen, oder er habe es vielleicht falsch verstanden!?
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft das Kopieren eines Ausschnitts aus einem 10 Jahre alten Artikel der New York Times in die Dateiinformationen. Dagegen ist nichts einzuwenden, wäre ein Hinweis auf die Quelle und das Erscheinungsdatum enthalten. Angesichts des Umfangs der Textpassage hätten auch diese Infos noch Platz gefunden. In diesem Fall wäre jedem Nutzer jedenfalls klar gewesen, dass die in dem Text enthaltenen statistischen Zahlen aktualisiert werden müssen. Das Argument des Fotografen, dass die Textpassage nur der Hintergrundinformation, nicht aber der Veröffentlichung dienen sollte, wird schon dadurch ad absurdum geführt, dass dieser alte Text bei der Veröffentlichung von World Press Photo offenbar als fundierter und aktueller Bildtext angesehen und tatsächlich veröffentlicht wurde.
Natürlich können einem Fotografen, auch einem so ausgebufften Profi wie Paolo Pellegrin, Fehler bei den Captions unterlaufen. In einem solchen Fall sollte man dann aber eine etwas reumütigere Reaktion auf die Kritik erwarten können und nicht eine solch arrogante und größtenteils uneinsichtige,wie sie aus der veröffentlichten MAGNUM-Erklärung spricht.
Nach Pellegrins ungelenken Erklärungsversuchen kommt tatsächlich die im Titel des Blog-Beitrages von bagnotesnews.com angerissene Frage auf, ob hier ein Star des Fotojournalismus mit dem Erfolgsdruck nicht klar gekommen und dem Zwang erlegen ist, jedem Fotografie gewordenen Drama immer noch ein neues hinzufügen zu müssen, auch wenn die Wirklichkeit diese Dramen vielleicht nicht immer hergibt?
Was wir aber alle daraus lernen müssen – und das betrifft auch die Verantwortlichen von World Press Photo und Press Photographer of the Year – dass eine dem Foto an die Seite gestellte Caption die gleichen ethischen Kriterien zu erfüllen hat, wie das Foto selbst.
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