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World Press Foto des Jahres: Propaganda für den Terror?

Das Siegerbild des World Press Photo Award 2017 zeigt den Augenblick nach der Ermordung des russischen Botschafters Andrej Karlow in der Türkei. In Siegerpose steht der Attentäter Mevlüt Mert Altinas neben der Leiche des Ermordeten, die Linke triumphierend in die Luft gestreckt, in der Rechten die Mordwaffe.

Als ich das Bild sah, da meldete sich zuerst der Fotograf in mir. Wow....was für ein Bild. Der Fotograf Burhan Ozbilicis hat einfach alles richtig gemacht. Das Foto ist so perfekt, als sei es ein Szenenbild aus einem Spielfilm und der Fotograf hatte bei mehreren Einstellungen die Möglichkeit, auf den Punkt genau den Magischen Moment zu erfassen. Trotz der Gefahr, in der ja auch der Fotograf schwebte, positionierte er den Attentäter intuitiv noch perfekt zwischen die Bilderrahmen. Und auch der Ermordete ist richtig im Anschnitt. Der Körper des Attentäters steht unter Spannung, das linke Bein ist dem rechten wie in einem unvollendeten Schritt gespreizt vorangestellt, während der linke Fuß wie in einer Vorwärtsbewegung nur auf dem Ballen steht. Der linke Arm streckt sich so hoch er kann und der ausgestreckte Zeigefinger verlängert ihn noch und verstärkt damit die Geste des Triumphes. Der weit aufgerissene Mund brüllt etwas in den Raum und man ahnt fast, das es »Allahu Akbar« ist - Gott ist groß. »Ein spannungsgeladenes Foto« sagte denn auch Jury-Mitglied Mary F. Calvert zur Begründung der Entscheidung. Und wer wollte das bestreiten?

Aber ein Foto ist heute nicht mehr einfach nur ein Foto. Der Kontext aus Bildtext und veröffentlichendem Medium ist wichtig und auch die Wirkung auf die Betrachter. Und das gilt insbesondere für dieses Bild. Entsprechend genutzt, kann es zu einem Werkzeug werden, zu einem Instrument der Ideologie, mit dem weitere Attentäter zu Märtyrern rekrutiert und fanatisiert werden. Es kann zu einer Ikone der Stärke radikaler Fundamentalisten werden und zu einer Ikone der Schwäche demokratischer Gesellschaften. Wir alle wissen, wie gut die Terroristen dieser Welt mittlerweile auf der Klaviatur medialer Propaganda spielen. Da kommt ihnen ein solches Foto gerade recht. Und da stellt sich die berechtigte Frage, ob es nicht geradezu ignorant ist, bei der Überlegung, ob man dieses Foto zu dem Siegerbild des wichtigsten Fotojournalismus-Preises des Jahres küren soll, die Wirkung des Bildes auszuklammern? Die Entscheidung der Jury war deshalb nicht einhellig. »Dieses Bild des Terrors sollte nicht das Foto des Jahres sein,« sagte Magnum-Fotograf Stuart Franklin, »ich habe dagegen gestimmt.« Und auch Peter-Matthias Gaede, der langjährige Chefredakteur von Geo, schreibt auf Meedia.de: »Wieso müssen wir zu den Protagonisten unserer Zeit die Mörder machen?« Viele Meinungen auf den unterschiedlichsten Foren argumentieren in die gleiche Richtung.

Dabei hat es andere hervorragende Bilder gegeben, deren Botschaft nicht von Hass und Terror künden, sondern von Mut und Zivilcourage. Wie zum Beispiel das Foto des Reuters-Fotografen Jonathan Bachmann von der farbigen Krankenschwester Ieshia Evans, die in Louisiana gegen Polizeigewalt demonstriert und den auf sie zustürzenden Polizisten trotzig ihre Handgelenke entgegenstreckt. Auch dieses Bild ist fotografisch gesehen ein Juwel. Aber eines, das in dieser Zeit des Hasses, des Nationalismus´ und der Fremdenfeindlichkeit ein Symbol für demokratischen Widerstand und Ungehorsam ist.

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